Herr Neumann zu One Night Stands, Liebe und Freiheit

Herr Neumann macht sich heute Gedanken über den Geschlechtsverkehr, speziell: Den One Night Stand, beziehungsweise: das einmalige sexuelle Interagieren zweier Menschen.

Einleitung:
Herr Neumann ist Papagei, was weiß er schon von Menschen? Nun, mancher Papagei sieht in Menschen primär Crackerlieferanten. Warum auch mehr? Viele Menschen sehen andere als ein Stück Fleisch, wir wollen also milde mit den Papageien sein. Herr Neumann ist allerdings kein normaler Papagei. Er ist Oberbefehlshaber einer Suizidtaubenschwadron, die auf sein „Korax One-Two“ ganze Landstriche  einäschert. Kräht er munter nur ein „Korax Code: Weiß-Braun“, scheißen sie frechen Passanten auf den Kopf. Herr Neumann ist da vielseitig. Er ist schelmisch, organisiert und …er beobachtet dich.
Heute sitzt er nicht wie üblich auf der Schulter seines alten Kameraden, einem gefürchteten Piraten, dem er mit allerlei Hilfen (vor allem im Dienst der Freiheit) bereits treu zur Seite stand, sondern er ruht mit geschärften Sinnen in einem Café und hört Menschen zu, die sich über den Koitus unterhalten. Ach, Menschen…(oder?).

Hauptteil:
Er bemerkt nun, dass sich das Gespräch um One Night Stands dreht. Ein junges Mädchen gibt zum Besten, dass sie sich nicht mehr an den Namen des junges Mannes erinnert, der in ihr herumgestochert hat. Herr Neumann denkt sich: „Wenn das die Wahrheit ist und davon sollte man vielleicht ausgehen, wenn sich erwachsene Menschen unterhalten: was ist daran traurig?„. Herr Neumann ist ein eher kritischer Papagei und so wägt er ab: Es gibt Menschen, denkt er sich, die sprechen von Würde und Respekt. Seine Suizidtaubenschwadron hat Respekt vor ihm, das weiß er, denn sie schweigen unaufgefordert und gurren, verneigen sich und grüßen. Nicht, weil sie müssten, (ok, er wäre schon ungehobelt, wenn nicht), sondern weil sie ihm Respekt für sein Lebenswerk, seine Ideale und Handlungen zollen.

Natürlich verbindet nun jeder Mensch etwas anderes damit. „Respekt“ ist schließlich auch nur ein Wort und so versucht Herr Neumann auf das Referenzobjekt dieses Begriffes zu kommen, indem er zuhört. Menschen und Sprachspiele, oder?
Das besagte Mädchen erzählt weiter, dass sie mit vielen jungen Männern diesen Akt ausgeübt hätte und auch beabsichtige, das weiter so zu handhaben. Herr Neumann fragt: „Warum?“ (Man entschuldige seine lästigen Fragen, er ist ein Papagei, er weiß es nicht besser). Nicht, dass er etwas gegen das Vögeln einzuwenden hätte, bei Zeus, er ist ja schließlich Papagei. Er begreift nur nicht, warum es 100 gesichtslose, völlig verzweckte Menschen als Partner sein sollen. Aber er sagt sich:
Menschen wiederholen etwas meist aus drei Gründen:

1. Aus Gewohnheit – und diese schließt schlechte wie gute Dinge ein. Wobei Herr Neumann gehört hat, dass Dinge, an die man sich gewöhnt, schnell ihren Reiz verlieren.
2. Weil es Ihnen gefällt bzw. sie glücklich macht.
3. Weil sie müssen (was in diesem Zusammenhang irrelevant ist, da eine freie Entscheidung bezüglich des Geschlechtsverkehrs nicht zwanghaft ist, es sei denn, man ist wirklich krank oder neurotisch – worum es hier nicht geht, daher unterschlägt Herr Neumann diesen Aspekt)

Zum ersten Punkt denkt er: Es ist doch bedauerlich, dass etwas, das irgendwann, als man 14 gewesen ist (bzw. heutzutage 10), besonders war, worauf man sich freute, wovor man vielleicht auch etwas Angst hatte, etwas jedenfalls, woran man sich sein Leben lang erinnert, zu einer Gewohnheit wird. Sind diese nicht die wichtigen Dinge, die man noch spät, ja sehr spät in seinem Leben eins zu eins wiedergeben kann? Oder ist das sentimental? Oder „fake and gay„, wie der spitzbübische Intertroll sagen würde? Nun, wie dem auch sei: er denkt: „es ist doch bedauerlich, dass etwas, das man mit einem Menschen, der einen respektiert (hier stockt Herr Neumann kurz) und schätzt, so wie man ist, besitzen könnte, irgendwann zu einer Sache wird, die nur das eine ist, nämlich körperliche Bewegung. Natürlich ist ficken mehr als vorwärts gehen. Die Frage, die Herr Neumann gern gestellt hätte, ist folgende: Was kann ficken bedeuten, wenn es mit einem Platzhaltermenschen geschieht, einem, deren Namen man vergisst, einem, der einen selbst nicht kennt, einem, der in unserem selbst nur Titten und Arsch oder eben Gesicht, Muskeln und Nudel sieht – bedeutet das nicht, dass diese Person, die sich da benutzen lässt, nur Mittel zu etwas ist? Bedeutet das nicht, dass dieser Mensch genauso ersetzbar ist, wie jeder andere, der in diesem Moment besoffen auf dem Sofa hätte sitzen können? Und wenn dem so ist, was hat es mit Respekt auf sich? Herr Neumann grübelt, ihm schmeckt das Thema nicht, denn es wird zunehmend bitter.

Er denkt: Was ist mit Respekt vor sich selbst? Was ist mit diesen Menschen los, wenn sie sich benutzen lassen – respektieren sie sich selbst? Oder wissen sie gar nichts über Respekt? Und wenn dem nicht so ist, dann sind wir wieder beim „Warum?„. Das leidige „Warum“. Was ist diesen Menschen widerfahren, dass sie keinen Respekt vor sich und ihren Wünschen haben. Oder könnte es sein, dass ihre Ideale an der Welt zerkrachten, wie Seifenblasen an Kakteen? Ist das einfach bequemer? So als wäre man es Leid, aufzustehen, um aufs Klo zu gehen, nur um sich dann einfach in die Hose zu scheißen? Und dann sogar aus Scham, dass man sich daran gewöhnt hat, zu  behaupten, dass man nun braune Flecken in der Hose trage und dass das nun alle machten, und der Geruch ja auch etwas individuelles sei etc. pp.?  Aber Herr Neumann möchte sich nicht im Kreis drehen, darum denkt er über die zweite Möglichkeit nach.

Zu 2.: Menschen wiederholen Dinge, Erfahrungen und Erlebnisse, weil sie einem etwas bedeuten, weil man sich an ihnen freut, weil sie einen bereichern. Nun wird die Frage erlaubt sein, ob allen Dingen nicht etwas Gemeinsames innewohnt, dass diese Freude ausmacht. Wenn nun die Vögelei mit Fremden, bzw. Menschen, die einfach zum richtigen Zeitpunkt Klaus hießen, wiederholt wird, kann man doch fragen: Was daran macht einen Menschen so glücklich, dass er es immer und immer wiederholen wollte?
Ist es die Bestätigung, sexuell etwas leisten zu können? Das würde bedeuten, man wollte lediglich in einer Disziplin immer besser werden, so wie 100-Meter-Läufer beispielsweise – vielleicht würde man sich dopen, sich nur auf das Laufen konzentrieren und irgendwann sicher vergessen, auf welchen Bahnen man schon gelaufen ist. Bahnen macht das schließlich nichts aus. Gut, solche Menschen gibt es und die haben ihre Probleme wie alle anderen auch, denen es um Leistung geht.
Aber nehmen wir an, Menschen tendieren zum Beischlaf, um sich Zuneigung und Leidenschaft zu sichern: Herr Neumann muss kurz nachfragen: Zuneigung? Hat das nicht etwas mit Kenntnis des Menschen zu tun, zu dem man Zuneigung entwickelt? Zuneigung entwickelt man doch aus bestimmten Gründen, oder nicht? Herr Neumann und die Spitzfindigkeiten, naja. Ist es also Zuneigung, wenn uns ein Mensch begrabscht, der nicht weiß, dass wir ’so‘ nicht angefasst werden wollen? Aber dann geht es vielleicht nicht um Zuneigung, sondern um Leidenschaft.
Im ursprünglichen Wortlaut schwingt eine negative Konnotation mit: Es ist eine alles ergreifende Emotion, die, wenn sie denn lichterloh brennt, Leiden schaft. Es geht um das Erreichen eines primären Zieles. Nehmen wir an, Herr Neumann will unbedingt diesen einen Keks. Er hat viel von diesem Keks gehört: Da ist Nougat drin und Sahne drauf. Er ist so rund, so wohl geformt dieser Keks und irgendwie kann, ja, irgendwie will Herr Neumann sich auch nicht beherrschen, er will diesen Keks. Ist es ihm da wichtig, wer ihm den Keks gibt?

Wenn Leidenschaft Leiden schaft, welche Leiden oder Nachteile sind das, wenn zwei Menschen, die sich nicht kennen, vögeln? Vielleicht sind es Dinge, auf die man nur kommt, wenn man darüber nachdenkt. Nehmen wir an, irgendein hinverbrannter Neonazi tötet einen Juden und hält das nicht nur für gut, sondern für moralisch geboten. Er ist auch mit voller Leidenschaft dabei – was könnte man ihm vorwerfen? Man könnte argumentieren: Man tötet keine Menschen (vor allem nicht aufgrund irgendwelcher körperlicher oder geistiger Eigenschaften, Bekenntnisse, Einstellungen, etc.). Er würde antworten: Ein Attentat auf Hitler würde Euch doch auch notwendig erscheinen. Oder das Töten in Notwehr, was ist damit? Man müsste ergänzen: Das Töten unschuldiger Menschen ist moralisch falsch. Er würde antworten, wenn er denn ein kluger Neonazi wäre (und zum Glück ist das beinahe ein Paradoxon): Dann dürfte man nicht abtreiben. Darauf würde man dann erwidern können, dass ein Embryo kein (unschuldiger) Mensch ist, etc. pp. Was Herr Neumann sagen will: Nur, weil Denken anstrengt und ziemlich weit führen kann, sollte man es nicht aus Bequemlichkeit ablehnen, sich in Plattitüden und Allgemeinplätze flüchten – und daher ist die Frage, welche Leiden ein One Night Stand schaffen könnte, nicht einfach mit einem „es gibt keine“ oder „es gibt welche“ oder „die klammere ich aus“ zu beantworten. Zudem hängt es vom Individuum ab – daher ist ein abstrakter Versuch wie dieser eben vor allem eines: allgemein und nicht spezifisch, ergo nicht ausreichend, um jedem Menschen, der einen ONS hatte oder haben wird, gerecht zu werden. Wie dem auch sei.

Gut, Herr Neumann sieht schon, seine Beispiele sind vielleicht etwas drastisch. Vielleicht ist  Leidenschaft nur ein Faktor. Worum geht es dann? Um Bestätigung? Was bestätigt der Beischlaf?
Dass man einen begehrenswerten Körper hat? Und wenn ja, welches Gewicht hat diese Bestätigung? Kann man darauf stolz sein? –  Und wenn es wirklich irgendeinen Menschen gäbe, der auf seinen Körper stolz ist, dann müsste man ihn doch fragen, was er dafür getan hat, dass er genauso aussieht .. mit dieser Nase, mit diesen Augen, diesen Haaren, dieser Haut etc. – und er müsste ehrlich gestehen: ich kann absolut gar nichts dafür, dass ich so geboren wurde und ergo hab ich auch keinen Grund, darauf stolz zu sein. Es bestätigt hier also lediglich den Körper, für den man (von ein wenig Training abgesehen) nichts kann.
Dann bestätigt es meist, dass viele Männer auf Brüste stehen und Frauen auf einen knackigen Hintern, um hier ein Cliché hineinzuschmuggeln. Und da die meisten Frauen über derartige Gewächse verfügen, gibt es auch genug Männer, die sie sich ansehen wollen und genügend Frauen, die sich über Anblick wohl geformter Sitzmuskeln zumindest nicht beschweren würden. Das bestätigt ergo nichts persönliches, sondern ein ‚allgemeines Gesetz‘, wenn man so ausdrücken will.
Was könnte der Beischlaf sonst bestätigen? Dass man ein begehrenswerter Mensch ist? Das wäre Unsinn, denn wer des anderen Namen nicht kennt und (wenn überhaupt) nur auf Augen, Mund und andere offenkundige oder eher verborgene Talente achtet, so begehrt er nicht den Menschen, sondern nur seinen Körper, siehe oben. Was könnte es sonst bestätigen, wenn man so gut wie nichts über diesen Menschen weiß?
Es könnte sein, dass zwei Menschen diesen Akt vollziehen, weil sie einfach mal nicht denken, sondern nur fühlen wollen. Das wäre ja nicht schlimm. Aber wenn sie fühlen wollen – was genau wollen sie denn fühlen? – Herr Neumann macht das Thema später auf.

Menschen, so sagt sich Herr Neumann, sind motiviert. Durch Gedanken, durch Werbung, durch Erfahrungen und Beobachtungen, durch ein fröhlich grüßendes paar Brüste.. da gibt es vieles. Er selbst sieht bei Menschen rot, die behaupten, dass Dinge „einfach so passieren“. Er verspürt dann Scham und Wut und möchte den Menschen, der das sagt, mit seiner ganzen Verachtung vollkotzen, so als wollte er sagen: Ich bin zwar Papagei, aber du schuldest mir ein Minimum an Respekt. Und sowohl Aufrichtigkeit und Verantwortung sind Bestandteile dieses Respekts. Aber gut, das zeigt, dass Herr Neumann also auch motiviert ist, in diesem Fall durch Ekel. Menschen, die mit anderen Menschen vögeln wollen, sind also motiviert durch… nun, was wollen die eigentlich, die Menschen?

Herr Neumann grübelt, wälzt Gedankenberge auf und ab – und am Ende kommt er zu folgendem Ergebnis, das zweifelsohne relativ simpel ist, was auch der Philosoph Mill vor langer Zeit bereits eingesehen hat:
Menschen streben danach, glücklich zu sein. Nun klären wir ganz kurz einen prominenten Einwand, damit wir fix zum Thema zurückkommen: Man könnte behaupten: Das ist banal. Menschen streben auch nach der Tugend, nach Geld, nach Ruhm, nach Crackern, Schokolade oder wie auch immer – aber, warum tun sie das? Man kann argumentieren, dass sie es tun, um durch den Besitz dieser erstrebten Güter glücklich zu werden. Herr Neumann entschuldigt sich an dieser Stelle, wenn er allzu belehrend wirkt, das liegt nicht in seiner Absicht.

Menschen wollen also mit anderen Menschen schlafen, weil sie das glücklich macht. Aber reicht diese Erläuterung? Kann man das nicht besser bzw. spezifischer erklären? Nun gibt es eine fast ausgestorbene Art von Menschen, die sich Romantiker nennt, und diese Menschen behaupten, dass sich fast alle Menschen Liebe wünschen. Sie wünschen sich Liebe von ihren Eltern, von Freunden, von Menschen, die sie begehren, schätzen und ehren. Seltsamerweise vögeln Menschen, die einen festen Partner lieben, zumeist nicht wahllos in der Gegend herum, es sei denn, sie lieben nur sich selbst oder alle Menschen – und wer alle Menschen liebt, liebt keinen, denn er entfremdet und beschmutzt das Wort in der Bedeutung, wie es die meisten Menschen gebrauchen.
Menschen, die verliebt sind/glücklich sind, vögeln also nur ihren Partner. (Menschen in glücklichen Partnerschaften haben durchschnittlich sehr viel mehr Sex als der durchschnittliche Single, das nur am Rande). Also Partner schlafen nur mit einander. Warum? Was fällt ihnen ein? Herr Neumann ist neugierig – da bleiben sich zwei Menschen treu, was zum Geier?
Er fliegt kurz über die Straße und schnappt sich das erstbeste Pärchen, eins von diesen, die zusammen kichern, weil sie Geheimnisse haben, die eine Welt bewohnen, die sich von seiner unterscheidet, die wissen, wie der andere aussieht, wenn er etwas verheimlicht, die wissen, was der andere in den ersten Momenten eines neuen Tages machen wird und die wissen, was der andere an seinem letzten Tag auf Erden gern täte. Eines dieser Pärchen, über das man lästert, anstatt zuzugeben, wie neidisch man ist. Herr Neumann fragt sie also: Warum schlaft ihr nur miteinander, es gibt doch so viele Menschen da draußen, so viele Menschen, die sogar attraktiver sind als ihr, nichts für Ungut? Und die Frau lächelt einen Satz, der für sie den Mittelpunkt des Universums darstellt: „Er versteht mich und gibt mir all das, was ich brauche“. Herr Neumann braucht einen Keks – er ist geplättet – das lässt sich mit einem Satz erklären?

Herr Neumann hätte das gern ausbuchstabiert. Die Frau wäre natürlich gern bereit, zu erklären, wie das mit der Liebe ist, und was sie alles impliziert aber .. gerade als sie anfängt, erinnert Herr Neumann sich daran, dass Verliebte schwärmen. Stundenlang, mit leuchtenden Augen, wie Verrückte. Herr Neumann zieht es also vor, sich zu bedanken und die Kurve zu kratzen. So denkt er selbst nach, was ein Mensch sich wünschen könnte.

Er möchte ernst genommen, ja respektiert werden. Er möchte, dass man ihn versteht und seine Beweggründe nachvollziehen kann, bzw. möchte er doch wenigstens nicht missverstanden werden. Er möchte gewürdigt werden, wenn er es verdient, ja, er wünscht sich Gerechtigkeit. Er möchte geliebt werden und zwar so wie er ist, und nicht mit Maske oder kürzerer Nase, nicht mit mehr Brust oder einem Leberflecken weniger, er möchte vor allem anderen aufgrund seines individuellen Charakters geschätzt werden, mit seiner Angewohnheit, unpünktlich zu sein, beispielsweise, oder chaotisch zu sein, oder mit seiner Dickköpfigkeit – ja, Herr Neumann hört immer wieder Menschen zu, die sich deswegen streiten, weil einer vom anderen erwartet, dass er sich ändert. Aber, Rattenschwanz!, dazu später.
Aber der Mensch möchte ja noch viel mehr:
Er möchte vor allem frei sein (nun denkt Neumann: Völliger Unsinn, denn wenn es ein Wort gibt, dass einen völlig leeren, weil grenzenlosen Referenzrahmen besitzt, dann Freiheit, aber egal).

Aber was ist das mit der Freiheit? Sie hört bei der Freiheit des Gegenübers auf, war es nicht so? Aber wenn Freiheit absolut ist, wie kann sie dann eingeschränkt sein? Herr Neumann erinnert sich, dass viele in der Jugend behaupten, dass sie mehr Freiraum bräuchten, sie wollten sich ausprobieren, sie wollten Freiheit, aber ist dem so? Sind sie denn in einer glücklichen Beziehung unfrei?
Das Paar von oben würde das bestreiten, denn Freiheit -würden sie sagen-, ist eine Vorstellung, die nicht ohne Grenzen denkbar ist. Was ist das nun wieder für ein Geschwafel? Herr Neumann erinnert sich an diesen Satz an einer Klowand: „Niemand ist so frei, dass er sich den Zeitpunkt aussuchen könnte, wann er scheißen muss“. Gibt’s da eine Parallele? Die Frau aus dem befragten Paar sagte: „In einer Beziehung, in der ich ganz ich selbst sein kann, bin ich am freisten (Herr Neumann lässt sie dieses Wort steigern). In allen anderen Kontakten mit Menschen bin ich nie ich selbst, nie mit all meinen Facetten, nie so unabhängig, denn ich muss stets gefallen, stets unterliege ich ihren Bewertungen“.
Natürlich gibt es in einer Beziehung Grenzen: Dass man beispielsweise (zumindest meist) auf den Beischlaf mit anderen verzichtet, bzw. treu ist. Dass man Rücksicht nimmt etc. pp. Manche deuten das als Unfreiheit. Aber wenn man selbst diese Grenze nicht brechen will, was ist daran Unfreiheit? Menschen wählen frei ihre Unfreiheit und man könnte behaupten, dass gerade das der Luxus ihrer Freiheit ist: bestimmen zu können, von welchen Grenzen sie sich einschränken lassen.

Ein Single behauptet, er sei frei. Er behauptet: Ich kann schlafen mit wem ich will, ich bin niemandem Rechnung schuldig, ich brauche jetzt keine Liebe. Ich will dies und das und jenes und davon viel. Gut, er ist Egoist. Mal ein Egoist zu sein, ist so notwendig wie gesund. Und: Das sind ja viele, das könnte man ihm vorwerfen, aber das müsste man vielen vorwerfen. Ist er nun so frei, wie er behauptet? Herr Neumann beobachtet ihn: Er verstellt sich, um Frauen ins Bett zu bekommen, er erzählt Lügenmärchen, verheimlicht und berechnet – hah! er darf nicht mal er selbst sein und nennt das Freiheit. Aber gut, Herr Neumann fliegt weiter und beobachtet eine junge Frau: Sie hält nichts von Liebe, jedenfalls noch nicht. Und Respekt ist ihr egal, sie möchte ein Bedürfnis befriedigen: ein Bedürfnis, das sie sich nicht erklären kann, aber nun hat das Bedürfnis irgendwann an die Tür geklopft, wurde umstandslos hereingelassen und nun sitzt es abends da und frisst Chips, wenn sie nach Hause kommt. Statt sich mit ihm zu unterhalten, setzt sie sich zu ihm auf’s Sofa und isst mit. Und das ist ok, solche Phasen hat man. Aber nicht seit Leben lang. Herrn Neumann würde an dieser Stelle eine Statistik interessieren: Wie viele Menschen sterben, ohne jemals eine ernsthafte, lange Beziehung gehabt zu haben? Jawohl die wenigsten, wie er vermutet. Daraus zieht er den Schluss: In einer glücklichen Beziehung zu sein, wünschen sich die meisten. Wenn auch nicht zum gleichen Zeitpunkt. Aber … warum nicht? Warum wünscht sich beispielsweise ein 20-jähriges Mädchen oder ein 20-jähriger Junge nicht, verstanden und geliebt zu werden?

Herr Neumann kratzt sich und putzt seine Federn. Eine Seifenblase erscheint über seinem Kopf: ein großes Fragezeichen: Warum unterlassen Menschen etwas?

Herr Neumann nimmt einen Cracker, um seinem strapazierten Gehirn unter die Arme zu greifen. Über Herrn Neumann erscheint nun eine riesige Glühbirne, in der ein Ausrufezeichen blinkt, unübersehbar wie ein rosa Wolkenkratzer.

Herr Neumann kommt unter der Voraussetzung, dass es den freien Willen überhaupt gibt, wovon er selbst nicht ganz überzeugt ist, zu dem Schluss:

Menschen wollen etwas etwas nicht oder unterlassen etwas aus drei Gründen:

1. a. Sie halten etwas für schlecht, nachteilig oder moralisch falsch.
b. Es überzeugt sie nicht, sie haben keine Lust, sind nicht motiviert oder nicht vom Vorteil überzeugt, oder zu bequem (was impliziert, dass der Wert sie nicht überzeugt, denn täte er es, wären sie bereit, ihre Bequemlichkeit aufzugeben).

2. Im Fall dessen, dass sie etwas unterlassen, was sie dennoch wollen: Sie können es nicht.

3. Sie haben Angst davor.

Im Bezug darauf, dass es unbestreitbar ist, dass sich die meisten Menschen Glück und Liebe wünschen, stellt sich Herr Neumann vor, warum jemand aus der Reihe tanzt und sich dieses Wünschenswerte eben nicht wünscht:

Zu 1. a und b: Es könnte sein, dass jemand Liebe für schlecht hält. Das sind sehr wenige und meist verurteilen sie sie eher aufgrund ihrer seelischen Narben als aus Überzeugung. Nachteilig ist die Liebe in dem Fall nicht, als man von dem Ideal ausgeht (das in der Realität natürlich nie zu 100% verwirklicht ist), nämlich, dass sie einen glücklich macht und somit die Vorteile die eventuellen Nachteile aufwiegen. Moralisch falsch ist die Liebe auch nicht – es sei denn man würde der Bedeutung des Wortes derlei Facetten andichten, dass man gar nicht mehr von Liebe sprechen kann, so z.B. http://www.youtube.com/watch?v=hg7qdowoemo.

Also 1 a) erklärt kaum, warum Leute lieber mit Fremden herumvögeln und die Liebe meiden. 1 b) allerdings auch nicht. Die meisten Menschen würden zustimmen, dass Liebe etwas gutes ist. Wer etwas „gut“ nennt, dann doch deshalb, weil er es möchte/gut heißt (im wahrsten Sinn des Wortes, ok, Tautologie) oder schätzt. Herr Neumann wäre nicht scharf auf Cracker, wenn sie ihm nicht schmeckten. Die meisten Menschen haben also Lust auf Liebe. Wer Lust auf etwas hat, ist meist auch motiviert, es zu bekommen. So würde Herr Neumann im äußersten Fall nachts im Schleichflug und Ninjakostüm eine Konditorei überfallen, um an seine Kekse zu kommen. Wenn jemand wirklich unmotiviert ist, so, weil er Liebe entweder nicht kennt, d.h. nie erfahren hat und sie deshalb nicht begehrt oder wirklich zu den wenigen Individuen gehört, die in ihrem Leben keiner Liebe bedürfen. (So kann es sein, dass die Liebe der Familie einen derart erfüllt, dass man keine Liebe von anderen Menschen braucht, geschweige denn, andere lieben möchte) (Das ist natürlich auch im Negativ denkbar.)

Zu 2: Liebe erfordert eine gewisse Reife und eine bestimmte Charakterentwicklung, die verschiedene Menschen verschiedener Altersstufen und Entwicklungsstufen nicht aufweisen. Geduld, Toleranz, Demut, Integrität, Rücksicht, Verantwortungsbewusstsein etc. sind Dinge, die nicht jede/r 20jährige/r unbedingt besitzt. Das rechtfertigt selbstverständlich keinen Vorwurf. Herr Neumann konnte als kleiner Papagei auch keinen Elefanten durch die Luft schleudern. Alles zu seiner Zeit. Nun: Liebe stellt Bedingungen: man muss fähig sein, sich hinzugeben und zu vertrauen, bzw. einem Partner entgegen zu gehen, teilweise auf Egoismus zu verzichten, Nachsicht zu üben, Bedürfnisse des anderen zu erkennen und sich um jene zu kümmern, etc. Der Punkt 2 erklärt also besser, warum Menschen die Liebe meiden, bzw. lieber herumvögeln: sie sind unfähig, die Liebe zu begreifen oder aber noch nicht in der Lage zu lieben, bzw. geliebt zu werden.

Zu 3: Herr Neumann sieht immer wieder Menschen, die sich nicht trauen oder aber, was noch schlimmer (wie in: trauriger) ist: Sie haben keine Hoffnung. So könnte es sein, dass Menschen nicht nur aus Angst vor seelischer Verletzung, sondern auch aus Zweifeln vor der Liebe zurückweichen: sei es aus Selbstzweifeln, aus fehlender Selbstachtung (weil sie denken: ich bin es nicht wert, bzw. ich verdiene sie/ihn nicht), sei es, weil die familiären Umstände einen derart einengen o.ä.. Vielleicht ist Angst der größte Faktor, denn Liebe impliziert vor allem eines: Dem Gegenüber gerecht zu werden. Wer verliebt ist und begreift, was ein Mensch ist, vor allem aber, was ein Mensch sein kann, wird verstehen, wenn Herr Neumann behauptet, dass dieses Unterfangen eines der schwierigsten überhaupt ist und sich vielleicht daraus erklärt, warum manche Menschen sich trennen, um lieber den bequemen Weg des One Night Stands zu gehen: sie müssen nicht über sich hinauswachsen und vor allem keinem Menschen gerecht werden: sie müssen lediglich funktionieren.

Schluss:
Herr Neumann möchte das jedoch nicht verurteilen – von Urteilen hält er nicht viel, denn sie beschreiben einen Ist-Zustand und wenn man vom panta rhei (alles fließt) ausgeht, dann sind Urteile nur Momentaufnahmen einer Wahrheit, die je nach Zeit, Perspektive und Meinung divergiert. Aber, und da entschuldigt sich Herr Neumann und verweist auf Shakespears „Der Kaufmann von Venedig“, worin Shylock folgende Worte spricht: „Meine Taten auf mein Haupt„. Damit will Herr Neumann sagen:
Eine Frau oder ein Mann, die/der so oder anders mit Menschen umgeht, sie beispielsweise ausnutzt, benutzt oder schlecht behandelt, muss dafür Rechnung tragen und bedenken, dass  jedwede Handlung eine Konsequenz nach sich zieht. Ein Wesen, das in seinen eigenen Fäkalien liegt, grunzt, alles frisst, was ihm vorgeworfen wird, seinen Ringelschwanz nach dem Wind richtet und nicht in den Himmel sehen kann, Schwein zu nennen, ist nicht ungerecht oder bösartig, sondern gerechtfertigt und objektiv so wahr wie prüfbar.

Herr Neumann gelangt nun zum Ende seiner Frage, was Menschen dazu bringen könnte, sich zumindest momentan gegen die Liebe und für den Beischlaf mit Menschen zu entscheiden, die einem weniger als ein gleichgestellter Partner bedeuten. Natürlich können Menschen auch einfach ungeduldig sein und während der Wartezeit auf die oder den richtigen die Zeit mit Sex überbrücken – wenn beide Verkehrsteilnehmer das gleich sehen und es aus gleicher Motivation tun (wobei auch diese nicht alle überzeugt), so erübrigt sich eine moralische Frage, dies ist dies und das ist das.

Aber Herr Neumann hatte bisher nicht berücksichtigt, dass Menschen nicht nur aufgrund der Suche nach Glück motiviert sind, sondern auch, weil sie, die sie in dieser Welt wenn noch nicht, so doch irgendwann, Leid erfahren, dieses kompensieren (müssen). Das dürfte die Norm sein. Selbstverständlich darf und soll jeder mit seinem Leid so umgehen, wie er will, wenn er damit nicht an die Freiheit eines anderen rührt. Dennoch wird es wohl erlaubt sein zu fragen, welche Arten der Kompensation wertvoller sind als andere. So kann ich mit meinem Weltschmerz Schach spielen (und verlieren) oder aber meinen Schmerz wegvögeln (wobei Herr Neumann bezweifelt, dass das lange vorhält). Im ersten Fall tue ich keinem Menschen Unrecht. Im zweiten Fall verhält es sich zumindest so, dass wir, wenn auch nur für 5-120 Minuten (es gibt ja solche und solche, nicht wahr) Verantwortung für einen Menschen übernehmen (da er in unser Leben tritt) und wir uns im selben Moment fragen sollten: Werde ich diesem Menschen gerecht, benutze ich ihn, benutzt er mich oder ist mir das alles egal?
Und wenn es einem egal ist, so erklärt das so simpel wie präzise, warum man noch immer herumvögelt, statt in einer Beziehung zu leben: Man hat nicht begriffen, worum es geht.

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Eine Antwort zu Herr Neumann zu One Night Stands, Liebe und Freiheit

  1. anniefee schreibt:

    ich staune, das gerade hierzu Kommentare möglich sind und bei anderen Artikeln nicht..
    aber gut. Der Papagei hat vergessen zu erwähnen (obwohl er verdammt viel erwähnt hat, Respekt): manche Leute beginnen manchmal auch einen ONS aus Neugier, weil sie „Drama“ brauchen, also unberechenbare, intensive Interaktionen. Das diese auch „schlecht“ ausgehen können, kalkulieren sie glaube ich ein. (Oder fällt das unter „Fühlen wollen“ ?)
    das nur als Randüberlegung einer Unerfahrenen, nicht Philosophie studiert Habenden
    – falls du überhaupt ergänzende Meinungen stehen lassen möchtest, darauf bin ich auch gespannt („Drama ! Lechz !“)

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